Passionierte Radfahrer könnten vom coworking Radolfzell gleich zum co-work Winterthur radeln, um dort am nächsten Morgen weiter zu arbeiten. Was sich bei den Schweizer Nachbarn tut, erzählt Gregor Fröhlich. Er ist einer der Gründer des Winterthurer Spaces und ein großer Verfechter der neuen Arbeitswelt.
Gregor, wie bist Du zum CoWorking gekommen?
Als junger Mensch habe ich im Arbeitsleben nicht immer verstanden, wie meine Chefs Entscheidungen getroffen haben. Es gab gar keine Wahl, man musste mitmachen – egal, ob man die Entscheidung gut fand oder nicht. Ich habe dann eine ganze Zeit mit mir gehadert und mich gefragt: Hat das mit mir zu tun? Oder hat das mit den Jobs zu tun? Muss das so sein? Ich habe ziemlich schnell herausgefunden, das mir das nicht liegt. Ich habe mich dann mit 24 selbstständig gemacht. Ich wollte wissen, wie Zusammenarbeit funktionieren kann und was es dafür braucht.
Was hast Du darüber in der Selbstständigkeit gelernt?
Ich habe mir selber beigebracht, wie man mit Kunden umgeht und das hat auch funktioniert. Für mich ist die Beziehung zu den Kunden wichtig. Ich will nicht einfach irgendwas verkaufen und dann – zack! – bin ich weg. Das ist nicht meine Art. Ich schätze die nachhaltige Zusammenarbeit, Ehrlichkeit und gute Kommunikation. Damals habe ich das noch nicht so genannt, aber es war Alles drin, was man heute unter Augenhöhe versteht: Selbstbestimmung, Partizipation und Potenzialentfaltung für die Mitarbeiter.
Du hast dann nach 15 Jahren wieder eine Festanstellung angetreten. Wie war das?
Was ich überhaupt nicht erwartet hatte, war, dass sich in dieser ganzen Zeit nichts geändert hatte. Die Mitarbeiter wurden immer noch nicht in Entscheidungen einbezogen, es gab nach wie vor eine klare Hierarchie. Oben wurde die Ansage gemacht und unten waren die Mitarbeiter als Befehlsempfänger. Das funktioniert nicht und ich will das ändern.
Ich habe eine interessante Zwischenstation über das Open Source Programm Ubuntu gemacht. Da waren Zehntausende Leute engagiert, die auch die Entscheidungen getroffen und die Produktentwicklung beeinflusst haben. Durch Open Source bin ich in ganz neue Fragestellungen gekommen. In den letzten paar Jahren habe ich deutlich gespürt, dass ich in diese Richtung etwas machen will.
Das ist in einem Unternehmen, das einem nicht selbst gehört, eher schwierig, oder?
Natürlich kann man eine Firma nicht umkrempeln, die jemand anders gehört. Deshalb habe ich mich umgeschaut, wo und wie ich meine Ideen verwirklichen kann. Ich habe mit Markus Leutwyler darüber diskutiert und gemerkt, er sucht auch so eine Möglichkeit. Und dann kam bald Raoul René Melcer hinzu. Im Oktober 2014 sind wir zu dritt gestartet, das war eine Bauchentscheidung. Inzwischen gibt es auch eine Struktur, wir haben einen Verein gegründet und Susanne Mosbacher als HR-Expertin ist dazu gekommen.
Welche Form von Zusammenarbeit habt Ihr als Vorstand vom CoWorking gewählt?
Bei uns gibt es keine Hierarchie und keinen Chef, es herrscht absolute Gleichheit. Wir teilen die Verantwortung und arbeiten auf Augenhöhe zusammen, jeder hat die gleichen Rechte und Pflichten, jeder zahlt den gleichen Anteil am Space. Wir mieten, damit der Raum für andere zur Verfügung steht und sammeln ein finanzielles Polster für weitere Aktivitäten an.
Hier gibt es ein schönes Video über das Sulzer Areal in Winterthur und die Gründer-Mannschaft vom co-work:
Als ich Euch in Winterthur besucht habe, haben mich Eure vielen Ideen überrascht. Das geht über Raum-Vermietung weit hinaus.
Ja, das ist bei uns Absicht. Wir haben schon unser Logo mit dem „Co“ markant auf Collaboration ausgerichtet. Uns geht es um beides, um Working und Collaboration. Es geht nicht „nur“ um Räume, sondern um Kommunikation und Begegnung. Am Anfang geht es um den Raum, danach um Kooperation. Wer zusammenarbeitet, tauscht sich aus und es entsteht Neues. Da entdeckt man den anderen, seine Geschichten, seine Interessen, Ideen und Visionen. Ich finde das toll. Uns ist es wichtig, Leute in einer einfachen Form zusammenzubringen. Das erreichen wir über unser Programm. Bei uns gibt es Events, außerdem lieben wir Musik und haben einen eigenen Jingle, „Just do it“. Das trifft es für uns genau: Mach es einfach, fang an mit der Veränderung.
Das ist der Sound vom CoWorking Winterthur:
http://www.co-work-winterthur.ch/sounds/
Wie wichtig ist für einen CoWorker Zugehörigkeit?
Ich denke, es ist für alle mehr, als nur irgendwo zu hocken und etwas zu arbeiten. Menschen wollen teilhaben und etwas bewegen. Wir merken das im Moment sehr stark, wir arbeiten verstärkt zum Thema Arbeitsleben. Wir möchten CoWorking ins Business transferieren und unsere Erfahrungen weitergeben. Auch in den Firmen kann man Barcamps machen, strukturell ist das auch nicht anders. Das muss man eben themen- und zielorientiert machen – aber die Form der Zusammenarbeit in den Unternehmen wäre eben deutlich anders als jetzt. In der Schweiz ist das ein langer Weg, das ist klar. Bei uns gibt es keine solche Revolution wie in Deutschland.
Was meinst Du mit Revolution?
In Deutschland haben die Themen New Work und Augenhöhe einen ganz anderen Stellenwert als bei uns. Da gibt es so viele Fälle von Burnout und psychischen Erkrankungen, dass die Unternehmen gezwungen sind, die Arbeitsbedingungen zu verändern. Davon sind wir in der Schweiz weit entfernt. Aber ich bin davon überzeugt, dass auch hier die Unternehmen davon profitieren, wenn sie Augenhöhe in den Vordergrund stellen. Mitarbeiter, die beteiligt werden, sind motivierter und leisten bessere Arbeit. Man weiß, dass die Umsätze mit zufriedenen Mitarbeitern deutlich steigen. Fair Management ist auch ein wichtiger Punkt im Recruiting. Ich hoffe aber, dass es fließend passiert und sich die Unternehmen ändern, ohne dass es knallt – da hat nämlich niemand etwas davon.
Wie stellt Ihr Euch das in der Praxis vor?
Der erste Schritt war, einen eigenen CoWorking Space zu gründen und sich mit den anderen Spaces in der Schweiz zu vernetzen. Als Nächstes gehen wir die großen Plattformen an, um bekannter zu werden. Dann werden wir Dienstleistungen anbieten, die für Firmen interessant sind. Wenn das Thema Augenhöhe in den Köpfen der Führungskräfte angekommen ist, sind wir zufrieden. Im 21. Jahrhundert steht der Mensch im Mittelpunkt, das ist eine Strömung, die wir in allen Ländern sehen. Ich befasse mich damit, weil ich der Nachfolge-Generation etwas Gutes hinterlassen will.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Gregor.
Hier geht´s zur Website des CoWorking Winterthur mit allen Kontaktdaten:
http://www.co-work-winterthur.ch
Petra-Alexandra Buhl